aus: "metallkurier" - Zeitschrift für Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz 4/2001 Oktober (Seite 2-3 & 19)

Interview mit Kultusministerin Annette Schavan

Bundesweite Verkehrssicherheits-Aktion
zielt auf 800.000 Berufsschüler

Annette Schavan

Die baden-württembergische Kultusministerin Dr. Annette Schavan ist als derzeitige Präsidentin der Kultusministerkonferenz Schirmherrin der Aktion „Jugend will sicher leben“, die sich im Schuljahr 2001/2002 ausschließlich mit den Risiken des Straßenverkehrs – besonders bezogen auf Berufsschüler/innen – befasst. Frau Schavan nimmt in dem MK-Interview Stellung zu den Zielen der Aktion, unterstreicht die Rolle der Berufsgenossenschaft beim Engagement um mehr Sicherheit im Straßenverkehr und erläutert die Arbeit der Schulen im Bereich Verkehrserziehung.

MK: Die Aktion „Jugend will sicher leben“ gibt es bereits seit 20 Jahren in Abstimmung mit den Kultusministerien der Länder. Die gewerblichen Berufsgenossenschaften und der Bundesverband der Unfallkassen sind zusammen mit dem Deutschen Verkehrssicherheitsrat Träger der Aktion. Wie beurteilen Sie, als baden-württembergische Kultusministerin, das bisher Erreichte?

Schavan: In Baden-Württembergwird seit Jahren von den gewerblichen Berufsgenossenschaften in fruchtbarer Zusammenarbeit auf regionaler Ebene mit den beruflichen Schulen Hervorragendes geleistet, um junge Menschen zu Beginn ihres Berufslebens mit den Risiken der Arbeitswelt vertraut zu machen. Schülerinnen und Schüler werden durch verschiedene regelmäßig stattfindende Aktionen zu sicherheits- und gesundheitsbewusstem Verhalten am Arbeitsplatz motiviert.
Beispiele für Verkehrssicherheit auf dem Arbeits- und Schulweg sind Veranstaltungen zum Thema „Gib acht im Verkehr“ für Fahranfänger, die gemeinsam mit den Polizeidirektionen unter Mitwirken der Verkehrswacht durchgeführt werden. Im Weiteren bezuschussen Berufsgenossenschaften Sicherheitstrainingskurse für Fahranfänger an beruflichen Schulen. Darüber hinaus wurde dieses Jahr zum ersten Mal das Theaterstück „Ausfahrt“ über Mobilität für Jugendliche ab 14 Jahren aufgeführt, das bei den Schülerinnen und Schülern sowie bei der Presse gut ankam.
Die Aktion „Jugend will sicher leben“ wird mit jährlich wechselnden Schwerpunktthemen bundesweit von allen sechs Landesverbänden der gewerblichen Berufsgenossenschaften gemeinsam seit über 20 Jahren durchgeführt.
Der Erfolg lässt sich nicht in Zahlen messen, jedoch ist festzustellen, dass bei Schülerinnen und Schülern eine große Motivation gegeben ist, bei den Aktionstagen mitzuwirken. Aufgrund der Schülerreaktionen ist eine Nachhaltigkeit gegeben, die das Verhalten der jungen Menschen im Straßenverkehr entscheidend beeinflusst.

MK: Die Aktion wird sich im Schuljahr 2001/2002 ausschließlich mit den Risiken des täglichen Straßenverkehrs befassen. Die gesetzliche Unfallversicherung sieht Arbeits- und Schulwege „ganzheitlich“, also auch auf das Freizeitverhalten der Jugendlichen bezogen. Als Präsidentin der Kultusministerkonferenz haben Sie, Frau Dr. Schavan, die Schirmherrschaft für die Aktion übernommen. Gehen Sie ebenfalls davon aus, dass sich die Jugendlichen in ihrer Freizeit sowie auf dem Schul-/Arbeitsweg gleich verhalten und dass deshalb von allen Seiten versucht werden muss, das Verhalten der Jugendlichen im Straßenverkehr zum Positiven zu beeinflussen?

Schavan: Junge Fahrerinnen und Fahrer von 18 bis 24 Jahren sind bei der Teilnahme am Straßenverkehr stark gefährdet. Im Jahre 2000 verunglückten in Deutschland insgesamt 112.946 junge Männer und Frauen in dieser Altersgruppe, davon wurden 1.736 Personen getötet. Während der Anteil der 18- bis 24-Jährigen an der Gesamtbevölkerung 7,8 Prozent beträgt, stellt diese Altersgruppe 22 Prozent der bei Verkehrsunfällen Getöteten und Verletzten.
An den beruflichen Schulen kann – vor allen anderen gesellschaftlichen Institutionen – ein besonders großer Teil der gefährdeten Jugendlichen erreicht werden. Von daher liegt es nahe, dass gerade die Schulen die Aufgabe der Verkehrserziehung wahrnehmen. Es ist unbestritten, dass sich erzieherische Maßnahmen wie hier Verkehrserziehung nicht nur auf Schule und Arbeitswelt, sondern auch auf das Freizeitverhalten der Jugendlichen auswirken. Das Kultusministerium nimmt von daher diese Aufgabe besonders ernst und hat an jeder beruflichen Schule in Baden-Württemberg das Amt eines „Verkehrsbeauftragten“ eingerichtet. Diese Lehrkräfte nehmen innerhalb der Schule hinsichtlich der Verkehrserziehung eine wichtige Multiplikatorfunktion wahr. Im Weiteren hat das Kultusministerium mit Hilfe einer Arbeitsgruppe einen Ordner mit Handreichungen für Lehrerinnen und Lehrer erstellt, die allen beruflichen Schulen kostenlos zur Verfügung gestellt wurde.
Darüber hinaus wäre es wünschenswert, wenn alle auf Kinder und Jugendliche Einfluss nehmenden Institutionen und Gruppen ihren Beitrag zur Verkehrserziehung leisten.

MK: Um das Ziel der Aktion zu erreichen, werden in den Schulen Seminare für Lehrkräfte und Info-Materialien für den Unterricht angeboten. Was ist konkret geplant? Wie viele Jugendliche werden von der Aktion bundesweit angesprochen?

Schavan: Die gesetzlichen Unfallversicherungsträger, das sind die Berufsgenossenschaften und die Unfallkassen, haben sich mit dem Deutschen Verkehrssicherheitsrat zusammengesetzt, um zur Verstärkung der bereits seit Jahren von den genannten Organisationen geleisteten Präventionsarbeit eine neue gemeinsame Maßnahme zu entwickeln, die auf die Akzeptanz dieser Altersgruppe setzt, da dies eine unabdingbare Voraussetzung für eine Verbesserung der Situation darstellt. Dabei wird bedacht, dass junge Leute einen starken emotionalen Bezug zum Fahrzeug, zum Fahrstil und für die Wahl des Fahrzeuges haben.
Die Empfehlungen der Kultusministerkonferenz zur schulischen Verkehrserziehung von 1972 in der Fassung von 1994 nennen für die beruflichen Schulen das Aufgabengebiet „Verkehrserziehung“ als Bestandteil der allgemeinen Erziehung. Der
inhaltliche Rahmen soll durch Themen bestimmt werden, die über ein vertieftes Verständnis für Fragestellungen aus dem täglichen Straßenverkehr den jugendlichen und jungen Erwachsenen helfen sollen, eigenverantwortlich, sicherheitsbewusst und umweltbewusst zu fahren.
Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat greift diese Aufgaben mit den genannten Partnern auf und möchte den Lehrkräften der beruflichen Schulen behilflich sein, mit Mitteln der Information und Motivation den Erziehungsauftrag zu Fragen der Verkehrserziehung zu erfüllen.
Die diesjährigen von den Landesverbänden der gewerblichen Berufsgenossenschaften und dem Deutschen Verkehrssicherheitsrat durchgeführten Seminare für Lehrkräfte (Verkehrsbeauftragte) der beruflichen Schulen haben zum Ziel, über besondere jugendspezifischen Anspracheformen im Zusammenhang mit einer Darstellung der gesellschaftlichen Situation und über das Risikoverhalten junger Fahrer und Fahrerinnen zu informieren sowie die Aktion „Jugend will sicher leben“ vorzustellen. Die Teilnehmenden erhalten in den Veranstaltungen Informationen über bestehende Angebote zur Verkehrssicherheitsarbeit und deren methodisch-didaktische Einbeziehung in den Unterricht.
Die am Sicherheitswettbewerb beteiligten Schulen erhalten speziell für den Unterricht an beruflichen Schulen aufbereitetes Aktionsmaterial, bestehend aus Unterrichtskonzepten mit Arbeitsbeispielen und Overheadfolien, Videofilmen sowie Infoblättern für die Schülerinnen und Schüler. Informationsplakate zum Aushang in den Schulen fordern zum Mitmachen auf.
Das Material behandelt das jeweilige Thema nicht nur fachbezogen, sondern berücksichtigt übergreifend alle Lebensbereiche wie Betrieb, Haushalt und Freizeit. Es kann somit auch verschiedentlich in den Unterricht integriert werden. Attraktive Sach- und Geldpreise können Schülerinnen und Schüler bei Beteiligung an einem Verkehrssicherheitswettbewerb gewinnen. Ebenso können berufsbildende Schulen Preise gewinnen, wenn sie die Aktion tatkräftig unterstützen und eine hohe Schülerbeteiligung erreichen.
Bundesweit werden ca. 800.000 Schülerinnen und Schüler durch diese Aktion angesprochen. Eine derart flächendeckende umfassende und jährlich sich wiederholende Aktion an den beruflichen Schulen ist europaweit einmalig.

MK: Die Themen lauten unter anderem Geschwindigkeit, Alkohol/illelage Drogen und Mitfahrer. Ein Präventionsfilm soll in diesen Tagen an die Schulen gehen. Welche Wirkung erhoffen Sie sich von dieser From der Unterrichtsergänzung?

Schavan: Der Videofilm ist als Einstieg in die Aktion vorgesehen und erzählt die Geschichte von zwei Berufsschülern und einer -schülerin. Das Verhalten dieser Personen spielt eine besondere Rolle und wird zum Spiegel der Charaktere und Emotionen. „Was steuert mich, wenn ich ein Auto steuere?“ ist die Frage, mit der der Film die Zuschauer zum Nachdenken bewegen will. Über die Identifikation mit den drei Jugendlichen wird den Schülerinnen und Schülern beruflicher Schulen eine Reflexion über das Verhalten junger Autofahrer ermöglicht. Darüber hinaus bietet der Film Anknüpfungspunkte im Unterricht für die Erarbeitung der Hauptthemen des Wettbewerbs: Geschwindigkeit, Alkohol, Mitfahrer, Konflikte im Straßenverkehr und Stress. Bewegte Bilder wie im Film sind besonders einprägsam. Wichtig ist, dass der Film in der Schule nicht alleine steht, sondern in eine darüber hinaus gehende Unterrichtskonzeption eingebunden wird.

MK: Welche Präventionsmaßnahmen sollten Ihrer Ansicht nach im Vordergrund stehen, um Schulwegeunfälle zu verhüten?

Schavan: In erster Linie sind die Schülerinnen und Schüler umfassend über die verschiedenen Gefahrenquellen aufzuklären, welche auf dem Schulweg lauern. Dies kann auf verschiedene Weise geschehen durch Lehrkräfte im Fachunterricht sowie fächerübergreifend bei Projekten oder bei Verkehrssicherheitstagen, durch hierzu ausgebildete Schülerinnen und Schüler; Baden-Württemberg geht hierzu mit der Ausbildung von „Schülermentorinnen und -mentoren Verkehrserziehung“ bundesweit einen einmaligen Weg, unter Einbindung der Eltern in die Arbeit schulinterner oder – wie bei Schulzentren besonders effektiv – schulübergreifender Verkehrsausschüsse, durch Kooperation von Schule und Verkehrserziehung der Polizei sowie in der bewährten Zusammenarbeit mit den in diesen Bereichen tätigen Verbänden.

(Siehe auch Bericht auf Seite 19)

Aktion „Jugend will sicher leben“

Berndts große Klappe belastet die Beziehung zu Nicole

Seit 20 Jahren gibt es die Aktion „Jugend will sicher leben“. Im Schuljahr 2001/2002 widmet sie sich ausschließlich den Risiken des täglichen Straßenverkehrs und ist ausgelegt auf die Zielgruppe weiterführende Schulen, besonders Berufsschulen. Zu Beginn der Aktion werden Schulleiter und Lehrkräfte an berufsbildenden Schulen fit gemacht für die Motivation der Jugendlichen und jungen Erwachsenen für mehr Sicherheit im Straßenverkehr. Darüber hinaus stehen zahlreiche Medien für den Unterricht wie beispielsweise Info-Blätter und ein Plakat zur Verfügung.

Aufnahme Dreharbeiten
Action bei den Dreharbeiten: Dennis rechts neben seinem neu erworbenen Gebrauchtwagen

Auf besonderes Interesse wird der Video-Film „Kisten“ bei den jungen Leuten stoßen. „Was steuert mich, wenn ich ein Auto steuere?“ ist die Frage im Mittelpunkt des Streifens. Kisten steht für Autos, aber auch für ein Liebesverhältnis im Sinne von „Beziehungskisten“. Ansatzpunkt für die Behandlung des Videos im Unterricht ist die Erkenntnis, dass Fahrer ihre Emotionen und Gefühle mit ins Auto nehmen. Und diese Emotionen sind es, die Einfluss darauf ausüben, wie sicher und wie überlegt man sich im Straßenverkehr verhält.

Um was geht’s in dem Video?

Nicole und Berndt sind Berufsschüler und ein Liebespaar. Aber auch ihr Klassenkamerad Dennis hat ein Auge auf Nicole geworfen. Berndt ist ein Angeber und fährt einen getunten BMW. Dennis – erst seit kurzem Besitzer eines alten Fiat Uno – gilt als zurückhaltender Typ. Berndts große Klappe belastet die Beziehung zu Nicole. Zum großen Knall kommt es, als Berndt entgegen seinem Versprechen während eines Discobesuchs Alkohol trinkt. Nicole fühlt sich verschaukelt. Sie geht zu Fuß nach Hause und vereinbart, künftig mit ihrer Schwester in deren Auto heimzufahren. Auf „solche Typen“ will sie in Zukunft nicht angewiesen sein.
Dennis sieht Chancen und intensiviert seine Flirtversuche. Dadurch rastet Berndt aus. Er verlässt den Schulunterricht, dröhnt sich in seinem Auto mit Musik und Alkohol zu. Als er mit überhöhter Geschwindigkeit durch die Stadt rast und bei Rot über eine Ampel fährt, kommt es beinah zu einem schweren Unfall…

Aufnahme Dreharbeiten
Regieanweisungen für die
Hauptdarstellerin der Nicole
Aufnahme Dreharbeiten
Während eines nächtlichen
Diskobesuches kommt
es unter den Jugendlichen
zu einer Auseinandersetzung

Konzertierte Aktion

Die Aktion „Jugend will sicher leben“ wird seit 20 Jahren in Abstimmung mit den Kultusministerien der Länder gemeinsam vom Deutschen Verkehrs-sicherheitsrat, von den Landesverbänden der gewerblichen Berufsgenossenschaften und dem Bundesverband der Unfallkassen durchgeführt. Zweiter Schirmherr ist Bundesverkehrsminister Kurt Bodewig; denn die Aktion reiht sich nahtlos ein in das Programm zur Verbesserung der Verkehrssicherheit des Bundesverkehrsministeriums, das besonders die jungen Menschen als eine der am stärksten von Unfällen betroffenen Verkehrsteilnehmergruppen beschreibt.

 
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